Cover "Kein Platz für uns"

von Bruno Blume und Noëmi Sacher
ca. 448 S. |  Illustrationen von Dinah Wernli
14,8 x 21 cm | Hardcover
kwasi verlag 2024 || 33 Fr. | 29 €
für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren
ISBN 978-3-906183-34-3

Autor:in und Illustratorin

Bruno Blume ist in der Schweiz aufgewachsen. Seit 2001 sind 28 Bücher von ihm erschienen, von denen viele ausgezeichnet und übersetzt wurden. Er hat fünf Kinder und lebt – nach einigen Jahren in Italien und Deutschland – in Luzern.

Noëmi Sacher, 1980 in Schwyz geboren, studierte Germanistik, Volksliteratur und Kunstgeschichte in Zürich und schloss mit einer Arbeit über Bestsellerforschung am Beispiel von Dan Brown ab. Absolvierte dann die Schule für Angewandte Lingistik in Zürich. Sie schreibt historische Romane, Fantasy und Kindergeschichten und lebt mit ihrer Tochter in Arth und Luzern (Schweiz).

Dinah Wernli ist als freischaffende Illustratorin tätig und hat mit Kein Platz für uns erstmals einen Roman illustriert. Sie lebt in Zofingen (Schweiz).

Rezensionen

„Die Sprache hat einen fantastischen Rhythmus, zieht mich in den Bann und begleitet mich. Die Geschichte springt mich immer mal wieder an und ich ertappe mich dabei, dass ich mich frage, wie es wohl weitergeht.“ Dr. Patricia Scheurer

„Die Autoren, Bruno Blume und Noëmi Sacher, nutzen ihre fundierten Kenntnisse über die Schweizer Geschichte, um eine packende Erzählung zu weben, die sowohl historisch informiert als auch tief emotional ist. Bruno Blume, bekannt für seine vielschichtigen Charakterzeichnungen in über 30 veröffentlichten Werken, und Noëmi Sacher, deren literarisches Schaffen sich durch eine feine psychologische Beobachtungsgabe auszeichnet, ergänzen einander hervorragend in der Schaffung dieser komplexen Welt. Ein weiteres herausragendes Merkmal des Buches sind die Illustrationen von Dinah Wernli. Ihre Bilder ergänzen die emotionale Tiefe des Textes und verleihen den dramatischen Ereignissen und der ruhigen Intimität der Charakterbeziehungen eine visuelle Dimension, die selten in Romanen zu finden ist.“ Mediennerd.de

Neurodiversität

Kein Platz für uns

Beschreibung

1806 zerstört der Goldauer Bergsturz vier Dörfer, 457 Menschen sterben und rüttelt das gesellschaftliche Gefüge durcheinander.
Das trifft auch Flora und ihre Herrin Elisabeth. Die beiden 17-jährigen Außenseiterinnen suchen leidenschaftlich nach ihrem Platz in der Gemeinschaft: Flora, indem sie sich anpasst, Elisabeth mit wütender Auflehnung. Das gegenseitige Verständnis schweißt die beiden Frauen zusammen, bis sie stärker sind, als es das Dorf dulden kann.

Ein sozialhistorischer Roman über Macht und Ohnmacht, Ordnung und Unterordnung, Liebe und Wut, Heimat und Entwurzelung.

 

Leseprobe

Den ganzen Tag war das Haus voller Geräusche. Stimmen und Türenschlagen und Getrappel. Während der Dämmerung knackte es im Gebälk, dass ich jedes Mal einen Schrecken bekam. Einer der Läden schlug gegen das Haus als wäre er ein wildes Gitzi, das sich vom Strick losreißen will. Jetzt, da ich schlafen will, ist es plötzlich still. Ich liege auf der Küchenbank. Die Rosa wollte mir die Knechtekammer geben, aber es ist schon gruselig genug, ganz allein in einem fremden Haus zu schlafen. Da will ich wenigstens neben dem Feuer sein, so wie daheim auch. Die Decke, die mir die Rosa gegeben hat, ist angenehm weich, und dann hat sie mir auch noch ein Kissen hingelegt, das ist mit Wolle ausgestopft. Ich wusste gar nicht, wofür es gut ist. Aber jetzt liegt mein Kopf so weich, wie der einer Prinzessin, und mein Arm nutzlos darunter.

Zuerst habe ich noch die Mäuse in der Decke über mir gehört. Aber nun scheint es, dass auch die schlafen. Es ist, als würde das Haus den Atem anhalten.

Auch ich atme flach. Und lausche. Nichts.

Die Luft hier drin ist so dick, dass sie wie eine zusätzliche, schwere Decke über mir liegt. Ich muss das Fenster öffnen, auch wenn es dann für die Geister offensteht. Ich taumle den dünnen Streifen Mondlicht entgegen, die durch die Ritzen der Läden hereinfallen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich in einem Haus ersticken könnte! Aber jetzt umströmt mich die Nachtluft wie kühles Wasser und ich kann zurück ins Bett.

Das Haus ist jetzt nicht mehr still. Von der Tür her höre ich ein Scharren, wie von den Siebenschläfern. Dann öffnet sie sich, und etwas kommt herein. Es ist zu dunkel, um es zu erkennen. Ich frage mich, ob jemand einen Waldschrat hereingelassen hat, der mich jetzt ärgern will. Als das Mondlicht drauffällt, erkenne ich sofort, dass es ein Geist ist, obwohl ich noch nie einen gesehen habe. Er sieht aus wie ein Mensch, ist bleich und still und fast durchscheinend. Dann sind sie also gar nicht unsichtbar, die Geister!

Jetzt bleibt er stehen. Vielleicht, weil er mich gesehen hat. Er schaut mich aus starren Augen an. Die Katharina sagt, dass Geister arme Seelen sind, denen der Weg in den Himmel verwehrt bleibt, weil sie Holz entfremdet oder übermarchet haben oder ihre Schätze vergraben, um sie den Erben zu entziehen. Was diesen Geist wohl hier hält? »Warum bist du hier?«, frage ich. »Soll ich dir helfen?«

»Mir kann niemand helfen.« Die Stimme des Geists klingt überraschend normal, und ich verstehe ihn gut.

»Ich bringe dich zur Kirche und lass dich vom Pfarrer mit Weihwasser segnen«, schlage ich vor. Das hat der Bläsi gesagt, dass man so mit Geistern umgeht. Allerdings fällt mir ein, dass ich gar nicht recht weiß, wo die Kirche ist. Oder der Pfarrer.

»Der Pfarrer kann mir gestohlen bleiben«, sagt der Geist. Und kommt langsam auf mich zu. Er läuft auf seinen Füßen. Ich hab mir immer gedacht, dass er schweben würde, weil er ja so leicht ist. Ich will ihn gerade fragen, warum er nicht schwebt, da bleibt er keine zwei Schritte von mir entfernt stehen, und ich sehe, dass es gar kein Geist ist. Es ist Elisabeth, nur mit einem Hemd bekleidet und mit losen, wirren Haaren.

»Und wer hat überhaupt gesagt, dass ich Hilfe brauche?«, fragt sie und betrachtet mich lauernd.

»Warum sonst würdest du mitten in der Nacht zu mir kommen?« Dass ich sie für einen Geist gehalten habe, sage ich lieber nicht.

»Doch nicht zu dir, du Gans. In die Küche bin ich gekommen um einen Becher Wasser zu holen.«

Ich freue mich, dass sie da ist. Das Haus erwacht ächzend aus seiner Starre. Draußen zwitschert eine Fledermaus. Jetzt, da Elisabeth bei mir ist, fühlt sich alles weniger fremd an. »Soll ich dir einen herausschöpfen?«

Sie nickt, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Es dauert eine Weile, bis ich den Zuber gefunden und abgedeckt habe. Trotz aller Vorsicht stoße ich mir die Zehen an einem großen Tontopf.

Elisabeth lacht über mein erschrockenes Quieken, und ich lache mit. Dass es so schwer ist, sich an einem neuen Ort zurechtzufinden, hätte ich nicht gedacht. Aber das Lachen macht es leichter, den Becher zu finden und ihn mit frischem Wasser zu füllen.

»Du bist schon komisch«, sagt Elisabeth, als ich ihr den Becher reiche.

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